Sanitätsdienst der Bundeswehr: Traditionspflege mit der „Weißen Rose“
Dtsch Arztebl 2012; 109(39): A-1920 / B-1563 / C-1535



Hans Scholl war Medizinstudent. Er wurde als Sanitätssoldat an der Ostfront eingesetzt.
Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München besinnt sich auf die Sanitätssoldaten um Hans Scholl.
Nach Ernst von Bergmann ist seit langem
die Münchener Kaserne benannt, in der die Sanitätsakademie der
Bundeswehr untergebracht ist. Das überrascht nicht. Bergmann war ein
berühmter Chirurg, erfahren auch in der Kriegschirurgie. Das Audimax der
Sanitätsakademie erinnert seit dem 27. März 2012 an Hans Scholl, den
führenden Kopf der „Weißen Rose“. Das überrascht schon eher. Doch nur
auf den ersten Blick.
Die Akademie, in der
Sanitätsoffiziere und Sanitätsfeldwebel auf ihre Laufbahnen vorbereitet,
fortgebildet und für Einsätze etwa in Afghanistan ausgebildet werden,
sieht sich in der 200-jährigen Tradition der preußischen
medizinisch-chirurgischen Bildungsanstalten, aber auch des Widerstands
gegen das NS-Regime. Das entspricht der Gründungsphilosophie der
Bundeswehr. Der Traditionserlass von 1982 würdigt ausdrücklich das
Andenken an Personen, die sich „um Freiheit und Recht verdient gemacht
haben“.
Gleichwohl sprach Inge Scholl, eine
Schwester von Hans Scholl, noch 1994 von Abgründen der Traditionspflege.
Als äußeres Zeichen nahm sie, dass die meisten Kasernen der Bundeswehr
damals nach Kriegshelden der Wehrmacht benannt waren. Das habe sich
gründlich geändert, bestätigte bei der Festveranstaltung Ende März in
der Sanitätsakademie Jakob Knab, Kaufbeuren, der sich seit Jahren
kritisch mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr auseinandersetzt.
Er nannte als Beleg neben Hans Scholl weitere Widerständler, deren
Gedächtnis von der Bundeswehr gepflegt wird, darunter die bekannten des
20. Juli, aber auch weniger bekannte wie den Major Karl Plagge, der 250
ihm zugewiesene jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung bewahrt hat,
oder den Feldwebel Anton Schmid, der 300 Juden gerettet hat und deshalb
hingerichtet wurde.
Knab hatte zusammen mit Dr. Detlef
Bald, einem Münchener Historiker, 2006 beim Sanitätsinspekteur angeregt,
die Sanitätsakademie insgesamt in „Sanitätsfeldwebel-Scholl-Akademie“
zu benennen. Das scheint der Bundeswehr aber zu weit gegangen zu sein.
Die Benennung allein des Audimax sei niedrigschwelliger gewesen,
erläutert Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps (siehe Interview).
Bedeutung des Widerstands von Sanitätssoldaten
Schoeps, bis März dieses Jahres
Kommandeur der Sanitätsakademie, und sein Stellvertreter, Flottenarzt
Dr. med. Volker Hartmann, hatten sich für Scholl als Namensgeber
eingesetzt, um auf „die große Bedeutung des Widerstandes der
Sanitätssoldaten um Hans Scholl gegen das NS-Regime für die
freiheitliche Erinnerungskultur auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr“
(Schoeps) hinzuweisen. Schoeps ist seit April 2012 Unterabteilungsleiter
in der Abteilung Führung Streitkräfte im
Bundesverteidigungsministerium. Zum Aufgabengebiet gehören unter anderem
Sanitätsdienst und Innere Führung.
Hans Scholl als Namensgeber des
Audimax habe sich erst langsam zum Gegner des Nationalsozialismus
entwickelt, erläuterte der Amtschef des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes, Dr. Hans-Hubert Mack, anlässlich der Namensgebung.
Entscheidende Anstöße für den aktiven Widerstand erhielt Scholl offenbar
an der Ostfront. Dort war er von August bis Oktober 1942 als
Sanitätssoldat auf einem Hauptverbandsplatz eingesetzt, pflegte aber
mehr oder weniger offen auch Kontakte mit Einheimischen. Erleichtert
wurde das, weil Scholls „Weiße-Rose“-Freund und Mitsanitäter Alexander
Schmorell aus Russland stammte und russisch sprach (alles detailliert
nachzulesen in: „Hans Scholl“ von Barbara Ellermeier, Hamburg 2012). So
machten die Sanitätssoldaten „ihre Erfahrungen mit dem Vernichtungskrieg
und der Besatzungsherrschaft der Wehrmacht“ (Knab/Bald).
Bekenntnis zur Freiheit als Erbe und Auftrag
Nach ihrer Rückkehr erregt die
„Weiße Rose“ mit ihren Flugblättern an der
Ludwig-Maximilians-Universität München Aufsehen – und Unmut: diese
kleine, christlich motivierte Gruppe inmitten einer NS-doktrinierten
Studentenschaft und einer überwiegend regimekonformen Bevölkerung. Auch
das Denunziantentum ist hier gang und gäbe (Hans-Hubert Mack). Die
„Weiße Rose“ fliegt bald auf. Am 22. Februar 1943 werden die ersten
Mitglieder hingerichtet, unter ihnen Hans Scholl. Das
Vollstreckungsprotokoll vermerkt: „Seine letzten Worte waren: ‚Es lebe
die Freiheit‘.“
Das Bekenntnis zur Freiheit sei, sagt
Generalarzt Schoeps, als geschichtliches Erbe und politischer Auftrag
für die jungen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu verstehen.
Norbert Jachertz
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