Samstag, 6. Oktober 2012

Gedenkansprache


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Jakob Knab

Gedenkansprache


Jüdischer Friedhof Steinholz

Jahrestag der Reichspogromnacht

9. November 2008










Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Freunde und Freundinnen des Friedens!


In jedem Ort gibt es historische Zeugnisse, die uns Anstöße geben.
Wer in Kaufbeuren am Neptunbrunnen steht, sieht auf der einen Seite
die Dreifaltigkeitskirche, auf der anderen Seite einen Lebensmittelladen;
an der Fassade findet sich die  Aufschrift:  J. J. PROBST gegr. 1786

Wenige Wochen vor seinem Tod führte ich dazu ein Gespräch mit Altbürgermeister Hans Espermüller.  Wir sprachen u.a. darüber, dass der letzte Besitzer aus dem Kaufmannsgeschlecht Probst ein gewisser Hermann Probst war, der an der Universität Göttingen  „über den Übergang von Sorptionsverbindungen in chemische Verbindungen“ promovierte. Probst hatte Kaufbeuren in Richtung Murnau verlassen; denn dieser Ort war damals eine Kolonie für expressionistische Maler und Freigeister. Sohn Christoph wurde im November 1919 in Murnau geboren; er wurde freireligiös erzogen. Vater Dr. Hermann Probst folgte nun seinen Neigungen als Sanskrit-Forscher und als Privatgelehrter für  östliche Weisheitslehren.

Im Dezember 1942 war Christoph Probst von Hans Scholl gebeten worden, doch einen Entwurf zu einem Flugblatt zu verfassen. Dass Hans Scholl dieses Blatt bei der Verhaftung in der Universität München am 18. Februar 1943 bei sich trug, kostete seinem Mitstreiter Christoph Probst das Leben.

Ich zitiere aus seinem Entwurf für das siebte Flugblatt der Weissen Rose:

„Sollen Hitler,  dem Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens,
alle Deutschen  geopfert werden?
Ihm, der die Juden zu Tode marterte,
die Hälfte der Polen ausrottete,
Russland vernichten wollte,
Ihm, der Euch Freiheit, Frieden, Familienglück, Hoffnung und Frohsinn nahm
und dafür Inflationsgeld gab. Das soll, das darf nicht sein!
Hitler und sein Regime müssen fallen, damit Deutschland weiter lebt.“

In seinem Abschiedsbrief schrieb Christoph Probst an seine Mutter:

„Ich danke Dir, dass Du mir das Leben gegeben hast.
Wenn ich es recht bedenke, so war es ein einziger Weg zu Gott...
Eben erfahre ich, dass ich nur noch eine Stunde Zeit habe.
Ich werde jetzt die heilige Taufe und die heilige Kommunion empfangen.“


Eingangs erwähnte ich die Dreifaltigkeitskirche. Ab 1923 war Karl Alt Pfarrer an dieser Kirche in Kaufbeuren. Am Ende seines Wirkens hier veröffentlichte er seine Promotionsschrift in den Vereinigten Kunstanstalten Kaufbeuren. Sie trug den Titel: „Die Lateinschule der freien Reichsstadt Kaufbeuren und ihr berühmtester Rektor Magister Dr. Jakob Brucker“.

Ab 1929 war Dr. Alt Pfarrer in Ansbach und  seit Juli 1934 Pfarrer an der Lutherkirche in München-Giesing. Dort war er auch für die Seelsorge im Zuchthaus München-Stadelheim verantwortlich. In seinen Erinnerungen berichtet er über den 22. Februar 1943: „Nach kurzem Gruß und festem Händedruck bat  mich Hans Scholl, ihm zwei Bibelabschnitte vorzulesen: das ‚Hohe Lied der Liebe’  und den  Psalm 90:

 ‚Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für.
Ehe denn die Berge wurden
und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist du Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.’“


Und über die letzte Stunde von Sophie Scholl teilt uns Pfarrer Alt mit:
„Ohne eine Träne zu vergießen, feierte auch sie  das heilige Mahl,
bis der Wächter an die Zellentür pochte und sie hinausgeführt wurde…“

Nachdem einige Spuren aus unserem Umfeld erkundet wurden, möchte ich auch den Blick auf einen grundlegenden ideengeschichtlichen Streit lenken:

Im Frühjahr 1937 führten der jüdische Kulturphilosoph Walter Benjamin sowie der Vertreter der kritischen Theorie Max Horkheimer eine Auseinandersetzung über Erinnern und Gedenken. Gegen Benjamins überschwängliche Hoffnung auf die wiedergutmachende Kraft humanen Eingedenkens kam Horkheimer zu dieser heillosen Einsicht: „Die Erschlagenen sind wirklich erschlagen.“

Als im Oktober 2001 dem „Philosophen der Bundesrepublik“ Jürgen Habermas in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, knüpfte er in seiner Dankesrede auch an diese Kontroverse Benjamin –  Horkheimer an:

„Erst recht beunruhigt uns die Unumkehrbarkeit vergangenen Leidens –
jenes Unrecht an den unschuldig Misshandelten,
Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß
menschenmöglicher Wiedergutmachung hinausgeht.“


Der nach eigenem Bekunden „religiös unmusikalische“ Philosoph Habermas gelangte zu der Einsicht: „Die verlorene Hoffnung auf Auferstehung hinterlässt eine spürbare Leere.“

Ich meine, die Sehnsucht der Menschen, die sich mit dem Unrecht dieser Welt
nicht abfinden, ist ein Schrei des Verlangens nach Gerechtigkeit in die Weltgeschichte hinein.


Ich komme zum Schluss:

Wir begehen heute den 70. Jahrestag der Reichspogromnacht.
Doch bereits im Juni 1938 wurde – auf persönliche Weisung Hitlers –
in München die Hauptsynagoge zerstört. Und im August 1938 wurde auch
die Synagoge in Nürnberg abgerissen.

Die Pogrome der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November 1938 bildeten einen ersten Höhepunkt der Gewalt: Synagogen wurden niedergebrannt, jüdische Häuser wurden zerstört, jüdische Friedhöfe geschändet, jüdische Mitbürger misshandelt, 26 000 davon wurden in KZs interniert, etwa 800 jüdische Menschen wurden in jener Nacht ermordet oder am Tag danach in den Tod getrieben.

Beschämt müssen wir gesteh’n:
Gegen diese staatlich angeordneten Akte des Vandalismus und
des tödlichen Terrors gab es nur vereinzelte Stimmen des Widersagens.

Sie alle kennen die Geschichte der Vernichtungslager. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Häftlinge – im Rahmen von „Vernichtung durch Arbeit“ – in bayrische KZs verlagert. Orte wie Landsberg am Lech waren Produktionsstätten für die Rüstung.

Wir stehen hier vor dem Jüdischen Friedhof in Steinholz:

Im Herbst 1944 wurden 922 jüdische Häftlinge aus Auschwitz in das Lager "Steinhölzle" verlegt. Später kamen nochmals ungefähr 100 Juden dazu, die größtenteils aus Ungarn stammten. In fünf Monaten starben in diesem Lager "Steinhölzle" 472 Häftlinge. Sie sind hier in einem Massengrab beerdigt.

In unserer Gegend ist das jüdische Leben weitgehend verstummt.
Unser heutiges Gedenken ist auch ein Versuch,
diesen stummen Opfern eine Stimme zu geben.

Im Jahre 1927 hatte der christliche Kulturphilosoph Theodor Haecker,
der spätere Mentor der Weissen Rose, geschrieben:

„Es leuchtet ein, (…)
dass die Juden im Grunde ein höchst notwendiges Ferment innerhalb der europäischen Kultur darstellen.“


Haecker endete sein Werk mit dem damals prophetischen Worte:

„F r i e d e   s e I   I s r a e l  !“

In unsere heutige Sprache übersetzt heißt dies:
Gerechtigkeit schafft Frieden!

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